Fabián Peralta und Virgina Pandolfi - 'Bailar bien', ein Universum in perfekter Harmonie

Artikel von Ute Neumaier (Buenos Aires), veröffentlicht in der Zeitschrift Tangodanza Nr. 42, April 2010

Buenos Aires, Abasto. Hier war früher der zentrale Obst-und Gemüsegroßmarkt der Stadt, hier trieb sich Carlos Gardel als Kind herum. In der Tangoschule von Carlos Copello herrscht buntes Treiben: Eine Kinderstunde beginnt, eine für Erwachsene ist zu Ende, Folkloremusik mischt sich mit Tango und Rock’n Roll. Fabián Peralta und Virginia Pandolfi stört das nicht, geräuschempfindlich ist man in einer der lautesten Städte der Welt eher selten. Fabián (37) und Virginia (25) sind seit vier Jahren ein Tanzpaar. Sein trockener Humor ergänzt sich wunderbar mit ihrer herzerfrischend quirligen Art, die ihr charmanter Córdoba-Akzent noch unterstreicht.

Seit wann tanzt ihr beiden?

Fabián: Mit sechs Jahren habe ich angefangen, Folklore zu tanzen, mit 23 begann ich mit Tango Salón. Viel habe ich von Mingo Pugliese, Miguel und Osvaldo Zotto und Carlitos Pérez gelernt. Salón gefällt mir, weil es ein sinnlicher Tanz ist, bei dem es um Kommunikation und um die Verbindung im Paar geht.

Virginia: Ich habe mit vier Jahren mit dem Ballettunterricht begonnen, mit 19 wechselte ich zum Bühnentango, bis ich Fabián traf. Der hat dann meine Tanzwelt erst mal gründlich auf den Kopf gestellt.

Fabián, du sagst, du hast mit den Augen gelernt?

Fabián: Ja, im Club Sunderland saß ich nächtelang und nahm alles auf, was ich sah: die Codigos, wie sich die Tänzer auf der Piste bewegten, ihre Art zu gehen, zu drehen. Ja, meine Augen waren meine Lehrmeister, das verbindet mich mit den Alten. Technisch gesehen setzt sich der Tanz aus einzelnen Elementen zusammen. Hat man die erlernt, kommt die eigentliche Kunst, sie individuell zu kombinieren.

Wie kamt ihr zum Tango und wie habt ihr euch als Tänzer, Künstler und Lehrer seitdem entwickelt?

Fabián:  Mit 23 hatte ich mir das Knie verletzt. So kam ich zum Tango, denn der war nicht so belastend für meine Gelenke wie die Folklore. Tanzen musste ich, es war mein Broterwerb. Ich lebte lange vom Bühnentango, aber im Herzen blieb ich Salontänzer. Nach zehn Jahren in Tangoshows suchte ich nach neuen Wegen. Ich begann, in Milongas vorzutanzen, und bald kam das Unterrichten, zunächst als Assistent von Osvaldo Zotto und Lorena Ermocida. Seit 2004 bin ich Lehrer in der Schule von Copello. Mit meiner damaligen Partnerin Natacha Poberaj wurde ich 2006 beim Campeonato Mundial de Tango in Buenos Aires Weltmeister im Tango de Salón.

Virginia: Ich habe im selben Jahr mit meinem Partner am gleichen Campeonato in Córdoba teilgenommen. Wir gewannen und kamen in Buenos Aires ins Finale. Was für eine Freude! Eine Tangoshow wollte uns gleich anwerben, aber wir mussten zurück nach Córdoba. Doch mich hielt dort nichts mehr. Kurz darauf zog ich unter dem Vorwand los, an der Universität von Buenos Aires Tanz zu studieren. Dagegen konnten meine Eltern nichts einwenden. Bald traf ich Fabián, der von da an meinen Weg als Tänzerin und Lehrerin stark beeinflusste. Seit 2007 unterrichten wir zusammen. Zweimal pro Jahr reisen wir ins Ausland und nehmen an Festivals in Japan, Korea, Spanien, England und Holland teil.

 Wo habt ihr euch kennen gelernt?

Virginia: Im La Viruta. Ich wurde damals nicht viel aufgefordert, denn ich war neu. Und so saß ich oft in der Milonga und rauchte vor mich hin. Fabián kam irgendwann an meinen Tisch, forderte mich auf und erkundigte sich, ob ich einen Tanzpartner habe. Hatte ich, aber vor Fabián habe ich es abgestritten und geflunkert. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen!

Fabián: Mir gefiel, wie sie sich bewegte. Ich suchte eine Partnerin, die noch keine ‚Tanzlaster’ hatte, die noch nicht festgelegt war und mit der ich etwas erarbeiten konnte.

Virginia: Wir begannen zu proben. Ich dachte, wir seien ebenbürtige Partner. Doch Fabián sagte, wo es lang ging. Konflikte blieben nicht aus. Aber ich bin eine Kämpferin. Ich wischte mir die Tränen ab und machte weiter.

2008 habt Ihr am Campeonato de Tango in der Kategorie Bühnentango teilgenommen. Wie war das?

Fabián: Neu war für uns, eine kleine Komödie zu inszenieren. Wir schufteten acht  Monate lang an einem Stück von vier Minuten.  Es gab nur eine Tänzerin, mit der das möglich war: Virginia, denn sie hat etwas Komisches (schmunzelt). Wir gewannen den 5. Platz, wichtiger war aber die Erfahrung an sich.

Wie würdet ihr euch als Lehrer charakterisieren?

Fabián: Wir sind Salontänzer, tanzen in einer eher engen Umarmung und haben einen starken Milonguero-Einfluss.

Virginia:  Wir wollen, dass unsere Schüler das Gefühl und die Energie eines jeden Tangos auf ihre eigene Art ausdrücken lernen. Wir legen sehr viel Wert auf Details. Jemand hat gesagt, wir seien die ‚Maestros de lo Mínimo’ – es sind minimale, aber entscheidende Dinge, die den Tanz erst schön und anders machen.

Fabián: Für uns ist gute Stimmung im Unterricht wichtig. Dann geht das Lernen leichter. Wir sind zwar in der Tangowelt berühmt, aber wir kochen ja mit dem gleichen Wasser wie unsere Schüler.

Ihr habt eine ganz eigene Technik entwickelt. Was ist das Besondere daran?

Fabián: Ich habe lange die Bewegungsprinzipien von Tänzern studiert, vor allem die der großen ‚Alten’, ihre besondere Art zu gehen, und habe mir endlos Videos in Zeitlupe angesehen. All das floss in dieser Technik zusammen.

Virginia: Sie basiert auf einer besonderen Art der Dissoziation im Körper, auf einer ganz intensiven Verbindung im Paar und dem ständigen Wechsel der Dynamik. Das wesentliche Grundelement ist die Caminata, das Gehen. Die Intención, der Impuls jeder Bewegung beginnt in der Brust und setzt sich von dort aus fort. Es gibt keinen Moment, in dem das Paar die Verbindung im Tanz verliert.

Ihr seid unglaublich flinke und musikalische Tänzer. Wenn Virginias Füße fliegen und dabei jede Bewegung musikalisch sitzt, bleibt mir die Luft weg.

Fabián: Die Musik stand für mich immer im Vordergrund. Je tiefer du in sie eindringst, desto klarer wird, dass jedes Instrument ein Universum für sich ist, das dir unterschiedliche Zeichen gibt und mit jeweils anderen Bereichen des Körpers kommuniziert. Wenn du darauf achtest, tanzt du vollkommen anders.

Zum Beispiel macht die Musik „tiiiiiiign“ und dann „tititititiiiing“ – dann muss genau das mit dem Körper ausgedrückt werden. Das ist die Kunst. Es geht nicht so sehr um die Bewegungen, sondern um die Energie der Musik. Daraus entstand unser musikalisches Konzept.

Worum geht es dabei?

Virginia: Es ist ein Ordnungsprinzip, das einen Tango in rhythmische Grundelemente, Bases, und  in eine Art Verbindungsstücke, Conectores, einteilt. Diese Bezeichnungen haben wir uns selbst ausgedacht, um nicht mit den von Musikern verwendeten Begriffen zu kollidieren.

Fabián: Es geht darum, Musik anders hören zu lernen. Erfasst man den Beginn und das Ende einer musikalischen Phrase, lassen sich spielend leicht Bewegungsfolgen darauf abstimmen.

Virginia: Der Charakter einer Phrase bestimmt die Qualität der Bewegungen: So bewegt man sich zu einer melodischen Phrase anders als zu einer rhythmischen.

Ich finde es nicht einfach, diese Elemente aus der Musik herauszuhören.

Fabián: Du hast Recht, aber es lohnt sich, es zu lernen. Man wird sensibler für die Musik,  und der eigene Tanz bekommt eine völlig andere Ausdruckskraft. Welche Tanzpaare ziehen einfach magisch alle Blicke auf sich? Es sind die, deren Tanz im Einklang und in Harmonie mit der Musik steht.

Was bringt es euren Schülern?

Virginia: Durch diese neue Auseinandersetzung mit der Musik können die Schüler den Tango ganz neu entdecken, selbst wenn sie schon seit Jahren tanzen.

Fabián: Sie finden zu jeder Musik die am besten passende Bewegung, das erhöht den Tanzgenuss und erweitert das eigene Spektrum.

Virginia, wirst du in Deutschland auch Frauentechnik unterrichten? Deine Art zu gehen ist umwerfend, deine Beine scheinen am Hals zu beginnen.

Virginia: Ja, ich werde auch Frauentechnik unterrichten. Dabei arbeiten wir neben der Technik auch an der Musikalität speziell für die Frau. Wie werden Verzierungen richtig platziert, wann ist der passende Moment? Welche unterschiedlichen Verzierungen gibt es, melodische, rhythmische? Wie kann ich als Frau Eleganz, Rhythmus und Schnelligkeit in meine Füße bringen? Wie kann ich die Musik in jede Faser meines Körpers fließen lassen?

Fabián, du vertrittst Virginia in Buenos Aires ab und zu in der Frauentechnikstunde. Das hat mich beeindruckt. Was ist das Besondere an der Frauentechnik?

Fabián: Ich habe diese Technik entwickelt, also muss ich sie auch beherrschen. Beim Gehen entsteht der Eindruck, als hätten die Bewegungen keinen Anfang und kein Ende. Es gibt keinen Stillstand. Dass ihre Beine länger erscheinen, ergibt sich aus dem Rotationsprinzip im Körper, das die Bewegungen einleitet. Demzufolge beginnen die Beine nicht in der Hüfte, sondern viel weiter oben.

Virginia: Das Besondere ist auch, dass durch die Art, die Füße zu setzen, jeder Schritt zu einer Verzierung wird.

Wie fühlt es sich an, sich so gut zu kennen und miteinander zu tanzen?

Virginia: Ich fühle mich sicher. Er ist im Tanz ein Gentleman, er ist aufmerksam und beschützt mich. Manchmal geht die Verbindung weg, weil wir gestritten haben und der Ärger aufeinander noch da ist. Dann müssen wir uns erst wieder finden. Am Schönsten ist es, wenn wir eins werden. Dafür tanzen wir! Absolutes Verbundensein, ohne Worte, magisch! Hinterher fragt man sich, wie das möglich war.

Fabián: Das kann ich nicht beschreiben. Es ist eine Art Abwesenheit von mir selbst.

Könnte man sagen, dass es für euch beim Tanzen in erster Linie um die Verbindung mit der Musik geht?

Fabián: Es geht um viel mehr. Es ist ein Ganzes. Wenn du dir Coca und Osvaldo anschaust, wie sie Poema tanzen, dann findest du genau das. Oder Gloria und Eduardo Arquimbau, wenn sie Ataniche tanzen. Das kann ihnen so schnell keiner nachmachen. Man spürt, das sind sie selbst und da ist eine unverwechselbare Verbindung.

Es ist die Einheit von Mann und Frau, Musik, Raum und Bewegung. Wer all das harmonisch miteinander verbindet, der schafft ein Universum in perfekter Harmonie. Das ist es, was ich ‚bailar bien’ nenne.