Von Ute Neumaier, Buenos Aires, veröffentlicht in Tangodanza Nr. 59, September 2014
Milena Plebs ist ein Profi, das ist nicht zu übersehen. Zum Gespräch bringt sie ein Köfferchen mit verschiedenen Outfits und Schuhen mit … falls fotografiert werden sollte. Die Anforderungen an einen Bühnenstar sind ihr ein Begriff: zuerst als Tänzerin, dann als Choreografin oder als künstlerische Leiterin von Tangoshows hat sie sie von der Pike auf gelernt. Es gibt kaum jemanden in der Tangowelt, der Milenas Namen nicht kennt: sei es aus der mythischen Show Tango Argentino, aus Tango x 2 oder weil sie eine der Hauptfiguren war, die in den Neunzigern zur Wiederbelebung des Tango beigetragen haben. Im Interview spricht die prominente Tänzerin von sich als einer unglücklichen Heranwachsenden, von ihrem Weg mit und ohne Miguel Angel Zotto, darüber, wie die beiden zu Ikonen des Tango wurden und warum dieser Tanz so viele Menschen in seinen Bann zieht.
Du sollst als pubertierender Teenager einzig und allein im Tanz glücklich gewesen sein.
Ich war ein Scheidungskind. Als Pubertierende habe ich sehr unter der Trennung meiner Eltern gelitten. Ich hatte alles Materielle, aber etwas Wichtiges fehlte mir. Mit zehn ging ich in den Ballettunterricht und mit zwölf wusste ich, dass ich Tänzerin werden wollte. Der Tanz wurde eine Art Droge für mich, denn nur im Unterricht fühlte ich mich unversehrt. Wenn ich nach Hause kam, wollte ich nichts anderes als in den Tanzsaal zurück. Das blieb so, bis ich Miguel kennenlernte. Später habe ich natürlich gelernt, das Leben auch in anderen Momenten genießen zu können, nicht nur im Tanz.
Du hast einmal gesagt, dass der Tango dein Schicksal war. Was bedeutet das?
Mein Vater war Italiener, meine Mutter Bosnierin. Sie kamen in der Nachkriegszeit auf Schiffen an den Rio de la Plata. Jeder hatte ein anderes Leben hinter sich gelassen. Sie trafen sich in den Vororten von Buenos Aires und heirateten. Die Gewohnheiten bei uns zu Hause waren europäisch.
Mir wurde der Tango also nicht in die Wiege gelegt, dennoch hat er mich auf anderen Wegen gefunden. Den ersten Tango hörte ich in den Siebzigern, er war von Astor Piazzolla. Er war damals der Einzige, der im Radio unter moderner Musik gespielt wurde. Der Tango nahm mich schon im Alter von 14 Jahren ganz und gar gefangen. Und das, obwohl er damals als altmodisch galt und in der Gesellschaft nicht gut angesehen war.
Mit Schicksal meine ich aber auch, dass es meine Bestimmung war, dem Tango zu begegnen, mit ihm zu arbeiten, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich das Genre erneuerte und die Jugend Tango zu tanzen begann.
Wie bist du selbst dem Tango als Tanz begegnet?
Mit 19 trat ich in die Kompanie für modernen Tanz des Teatro San Martin ein, in der ich sechs Jahre Profitänzerin war. Damals gab es schon Choreografen, die mit Tangomusik arbeiteten, allerdings Bewegungen aus dem modernen Tanz verwendeten. Für Tangostücke wählten sie immer mich aus. Vielleicht weil ich mit meinen runden Formen gut zum Tango passte, vielleicht war es auch meine Art mich zu bewegen.
Den ersten ‚richtig’ getanzten Tango sah ich 1985 im Michelangelo¹. Die Choreografin der Kompanie, Ana Maria Stekelmann, lud mich dorthin zu einer Probe für das Stück Jazmines ein. Ich war tief beeindruckt. Dort begegnete ich auch Miguel, denn er tanzte in dem Stück und probte mit Ana Maria.
Ein in einer Umarmung tanzendes Paar war für mich der Inbegriff der Romantik. Aber was mit den Beinen der Tänzer geschah, war mir ein Rätsel. Diese Schnelligkeit, dieses Ineinanderverhaken der Beine, Boleos und diese Virtuosität machten mich sprachlos. So saß ich still bei den Proben dabei und schaute zu. Zuerst fasziniert vom Tanz, bis ich merkte, dass mein Blick immer mehr an dem jungen Tänzer hängen blieb.
Kam es durch Miguel zu deinem Wechsel vom modernen Tanz zum Tango?
Als 1985 die Saison am Theater vorbei war, begann Miguel, in einer Tanzschule zu unterrichten. Ich war neugierig und ging zu seinem Unterricht, aber nicht mit dem Ziel, Tangotänzerin zu werden. Ganz sicher war ich neugierig auf ihn, denn es hatte bereits zwischen uns gefunkt.
Drei Monate gingen wir miteinander aus. Mit ihm lernte ich die Welt der Milongas kennen. Nach sechs Monaten waren wir ein Paar und er zog in meine Wohnung ein. Tänzerisch gingen wir jedoch nach wie vor jeder seinen eigenen Weg, er tanzte Tango und ich modernen Tanz.
Im Februar 1986 erhielt er einen Anruf von den Direktoren von Tango Argentino. Sie wollten ihn für die Show gewinnen, denn die Rivarolas stiegen aus, weil Maria schwanger war. Zu dieser Zeit feierte Tango Argentino in New York bereits Riesenerfolge, während man in Buenos Aires davon kaum Notiz nahm.
Miguel eröffnete mir: „Tango Argentino will mich für die nächste Tournee unter Vertrag nehmen. Kommst du mit?“ Ich bekam einen großen Schreck und bat ihn um 24 Stunden Bedenkzeit.
Es war natürlich verlockend: Ein langfristiges Engagement, ich würde in US-Dollar verdienen, mit meinem Freund zusammen sein und an der Seite von Maria Nieves und Juan Carlos Copes, Virulazo und Elvira zur Musik des ‚Sexteto Mayor’ tanzen.
Aber es bedeutete, mein bisheriges Leben und meine Arbeit im Ballett aufzugeben. Und ich war noch keine Tangotänzerin, hatte gerade erst begonnen. Aber es gab noch etwas: Miguel hatte gesagt: „Ich gehe“. Und mir war klar, wenn ich nicht mitkomme, ist es mit der Beziehung aus. Denn wir hätten uns in den acht Monaten nicht besuchen können.
Was für ein Glück, dass ich mich dafür entschieden habe! Denn so konnte ich mit Miguel, der nicht nur mein wichtigster Tangolehrer, sondern auch der beste Tänzer der damaligen Zeit war, mein Debüt in der Show machen, die dem Tango die Türen zur Welt öffnete.
Es muss doch ein großer Wechsel von einer modernen Kompanie zu einer Tangoshow gewesen sein …
Es war wie Tag und Nacht! Ich kam aus einer ganzen anderen Tanzwelt. In einer zeitgenössischen Kompanie war ich von jungen Profitänzern umgeben, mit denen ich entspannt und im Team gearbeitet hatte. Und dann gehörte ich plötzlich zu einer Truppe von alten Tänzern, von Milongueros und Milongueras. Das waren wirklich keine einfachen Leute und es herrschte viel Konkurrenz untereinander. Nur weil wir die Jüngsten waren, halfen sie uns.
Und es war alles so neu für mich. Ich musste mir ganz schnell die Choreografie aneignen und lernen, auf Absätzen und im Paar zu tanzen. Ich war 24 Stunden pro Tag mit meinem Freund zusammen, den ich gerade mal acht Monate kannte. Und Miguel war auch kein einfacher Mensch …
Geprobt wurde grundsätzlich nicht! In Buenos Aires hatten alle Paare als Tänzer in Shows gearbeitet, pro Nacht oft in mehreren Etablissements. Deshalb tanzten sie immer die gleichen drei Tangos, überall, ein ganzes Leben lang! Daher erübrigten sich Proben für sie.
Vielleicht haben wir auch deshalb nach vier Jahren Tango Argentino verlassen und sind wieder zurück nach Argentinien gegangen. Wir wollten uns auf einer tieferen Ebene mit dem Tango beschäftigen und etwas Neues machen: Tango x 2. Doch dafür drückten wir erst mal wieder selbst die Schulbank.
Wer war euer Lehrer?
Bei Tango Argentino hatten wir sehr viel von Juan Carlos Copes gelernt, und ich als Tänzerin von Maria Nieves. Nach unserer Rückkehr gingen wir zu dem berühmten Maestro und Milonguero Antonio Todaro². Aber Unterricht war damals ganz anders, viel weniger analytisch als heute. Auch gab es noch kein so technisches Vokabular. Das Wort ‚Achse’ kannten die Milongueros nicht, sie sprachen von Ganchos, der Moulinette, dem Sanguichito.
Antonio war ein witziger Lehrer, aber er erklärte nichts, er machte vor. Oft zeigte er uns eine lange, ganz neue Sequenz und wir sollten sie nachmachen. Aber das war unmöglich, denn der Bewegungscode war vollkommen neu für uns. Wir sagten: „Zeige uns erst mal nur bis hierher.” Dann schauten wir ihm zu, analysierten und versuchten, seine Bewegungen zu dechiffrieren. Dennoch haben wir sehr viel gelernt, und Antonio war maßgeblich an den Choreografien für Tango x 2 beteiligt.
Dank dieser Show wurdet ihr in den Neunzigern zu Ikonen in der Tangowelt. Warum?
Tango x 2 war weltweit eine Neuheit, überzeugend und modern: Zwei Paare, Osvaldo Zotto & Guillermina Quiroga und Miguel und ich, wurden von sechs Musikern und einer Sängerin begleitet und tanzten unterschiedliche Stile. Zwei Jahre lang hatten wir uns intensiv mit den verschiedenen Tangostilen der Geschichte befasst und sie in die Show integriert: Canyengue³, Salontango, Tango al Reves4, Amerikanischer Tango5, Tango Fantasia6 und Bühnentango. Tango x 2 bestach mit einer ganz neuen Ästhetik, mit jungen Tangotänzern und choreografischem Reichtum.
Darüber hinaus wurde Tango in den Neunzigern in Buenos Aires über sehr lange Zeiträume hinweg gezeigt. Die Menschen konnten für relativ wenig Geld immer wieder eine gute Tangoshow sehen. Nicht wenige kamen viele Male, sie nahmen ihre Familien mit, dann Freunde, Bekannte. Selbstverständlich war auch die ganze Prominenz aus der Kulturszene vertreten.
Doch es lag sicher auch an uns: Miguel war der Tangotänzer schlechthin und ein Bild von einem Mann. Und natürlich waren wir als junges, attraktives und erfolgreiches Tanzpaar auch eine gute Projektionsfläche, das Publikum idealisierte uns. Viele Menschen fingen wegen uns an, Tango zu tanzen, das höre ich heute noch immer wieder.
Wie kam es in dieser Erfolgswelle zur Trennung von Miguel?
Erfolg steht nicht notwendigerweise für ein erfülltes Leben. Trotz tosendem Applaus wurde ich immer unglücklicher. Miguel und ich hatten nie geheiratet, aber wir arbeiteten miteinander, hatten gemeinsame Verpflichtungen, hatten eine Marke geschaffen, eine Show auf die Beine gestellt und waren Tanzpartner. Auch ohne Trauring war er mein Mann. Nur Kinder haben wir nie bekommen. Tango x 2 war unser Kind, da steckten wir all unsere kreative Energie hinein.
Aber unser Leben wurde von der Arbeit bestimmt. Wenn wir am Abend nach Hause kamen, sprachen wir nur von der Show. Wir hatten keine anderen Themen! Es gab nur Tanzen und Arbeiten, noch nicht mal ein Hobby hatten wir. So wollte ich nicht weiterleben. Für die Frau in mir musste ich eine Wahl treffen.
Am 1. Mai 1995 zog Miguel aus der Wohnung aus, in der wir fast zehn Jahre gewohnt hatten. Wir trennten uns als Paar, wollten aber weiter miteinander arbeiten. Glücklicherweise stand in den drei Monaten nach der Trennung keine Tournee an. Das war eine große Hilfe, denn so konnten wir Abstand zueinander gewinnen.
Als wir die Arbeit wieder aufnahmen, ging es mit der Erfolgswelle wie bisher weiter. Wir wurden umjubelt, machten eine Tournee nach der anderen, leiteten die Kompanie, tanzten miteinander und verdienten sehr gut. Aber ich war nicht glücklich, wie viel Geld ich auch immer verdiente.
Im Jahr 1997 waren wir mit der Show im New York City Center, einem der renommiertesten Tanztheater Amerikas. Es war ausverkauft, 3000 Sitzplätze, zehn Tage lang! Wir wurden umjubelt, aber ich fühlte mich traurig und leer. Ich erkannte, dass ich nicht mehr mit Miguel tanzen durfte, dass er noch viel zu präsent in meinem Leben war.
Ich schlug vor, uns als Tanzpaar zu trennen und nur noch Tango x 2 gemeinsam zu leiten, womit Miguel einverstanden war. Die Erfolgssträhne riss weiterhin nicht ab. Aber die Zusammenarbeit war für keinen von uns einfach. Und so zog ich 1998 einen radikalen Schlussstrich. Wir trennten uns und ich verkaufte ihm meinen Teil von Tango x 2.
Nun warst du in der Tangowelt erstmals ganz auf dich gestellt. Wie ging dein Weg weiter?
Ich hatte genug Geld verdient und konnte es mir leisten, ein paar Jahre nicht zu arbeiten. Es folgte eine ruhigere Zeit, die ich brauchte, da die Jahre mit Miguel kräftemäßig der absolute Wahnsinn waren.
Von 2000 bis 2005 arbeitete, tanzte und unterrichtete ich mit Ezequiel Farfaro. Es war die Zeit, in der Festivals aufkamen, zu denen wir viele Einladungen erhielten. Ich genoss diese Arbeit, denn sie war im Vergleich zu der mit Miguel und Tango x 2 einfach. In der Zusammenarbeit mit Ezequiel entstand 2005 auch der Dokumentarfilm „Milena baila el tango… con Ezequiel Fárfaro“.
Nach der Trennung von Miguel war mir immer klar, dass ich Liebe, Leben und Arbeit nie wieder vermischen wollte. Einen Tanzpartner ja, einen Lebenspartner gerne, aber nicht mehr beides in einer Person. Ich wollte nicht mehr an den Punkt kommen, an dem ich Zweifel habe, ob ich mit jemandem zusammen bin, weil ich ihn liebe oder weil ich so gut mit ihm arbeiten kann. Wenn sich in der Zusammenarbeit mit Tänzern Derartiges anbahnte, entschied ich mich immer dagegen. Aus diesem Grund habe ich nach Ezequiel nie wieder einen festen Tanzpartner gehabt. Ich arbeite seither mit unterschiedlichen Tänzern zusammen, die ich anrufen kann, wenn mir eine Arbeit, ein Vortanzen angeboten wird. Es ist nicht das Gleiche wie mit einem festen Partner, aber es ist einfacher.
Dass eine Tangotänzerin einen Kollegen für ein Vortanzen bestellt, hat es früher nicht gegeben, nicht wahr?
Genau, früher war das eher umgekehrt. Da hieß es: „Miguel Angel Zotto tanzt.“ Und hinter vorgehaltener Hand konntest du dann fragen: „Tanzt er alleine?“
In den Vierzigern und Fünfzigern und noch eine ganze Zeit danach spielte die Frau nicht so eine große Rolle im Tanz. Die Männer waren es, die sich trafen, miteinander übten und neue Schritte ausprobierten. Die Frau hatte lange Zeit die Rolle, den Mann nur zu begleiten. Ich erinnere mich nur an zwei Milongueras aus den Sechzigern und Siebzigern, für die das nicht zutraf, und die ich in den Achtzigern erstmals tanzen sah. Es waren ‚La Gallega’ und Martita, die Partnerin von Petroleo. Ihre Verzierungen waren unglaublich. Als Tänzerin waren sie im Paar nicht zu übersehen.
Wie ging es für dich auf der kreativen Ebene weiter?
Wenn ich in den Jahren nach der Trennung in die Milonga ging, wurde ich oft gefragt: Wann fängst du wieder an zu arbeiten? Das Publikum assoziierte in meinem Fall Arbeit mit einer Tangoshow. Oft habe ich einen Druck gespürt, weil ja Miguel mit der Kompanie weitermachte und man so etwas von mir auch erwartete. Doch von solchen Erwartungen habe ich mich befreit.
Es gab Projekte, die ich nicht realisierte, weil ich merkte, dass ich dem Muster folgte, dem Miguel und ich gefolgt waren. Aber die Formel x 2 gab es nicht mehr, ich musste etwas ganz Neues machen. Deshalb dauerte es auch eine Weile, bis meine eigenen Projekte geboren wurden.
Nach einer langen Schaffenspause entstand mit Tramatango 2009 das erste große Stück. Darin verarbeitete ich meine eigene Suche, meine Rolle als Frau im Tanz, meine Weiblichkeit und deren Kraft. Daneben arbeitete ich immer als Choreografin, spielte und tanzte in verschiedenen Filmen und schrieb knapp 30 Artikel für die argentinische Zeitschrift Tangauta.
Du hast auch über mehrere Jahre hinweg mit Schülern eine Befragung durchgeführt.
Ja, denn ich habe mir oft die Frage gestellt, warum der Tango gerade zu diesem Zeitpunkt der Menschheit eine so große Anziehungskraft ausübt. Es liegt auf der Hand, dass er keine Mode-Erscheinung ist, sondern etwas, das ein Bedürfnis der Menschen abdeckt. Mit der Anthropologin Maria Susana Azzi stellte ich einen Fragebogen zusammen, den ich nach dem Unterricht an meine Schüler gab. Die Antworten waren interessant und oft originell. Doch eine Aussage kehrte immer wieder: „Der Tango hat mein Leben verändert.“
Für mich hat das damit zu tun, dass es im Tango um etwas Universelles geht, das Zeit, Raum und Kultur überwindet: Mann und Frau und ihre Beziehung zueinander. Beim Tango bewegen sich zwei Menschen in einer engen Umarmung gemeinsam, der Mann spielt dabei die aktive Rolle, er initiiert, führt und strukturiert; die Frau nimmt auf, empfängt, reagiert auf den Vorschlag des Mannes und übersetzt seinen Impuls in Bewegung. Beide sind dabei eine Einheit wie Yin und Yang, sie können nicht ohne den anderen existieren.
In den vergangenen 50 Jahren hat sich aufgrund der sexuellen Befreiung und der Gleichberechtigung die Rolle der Frau stark verändert – und damit auch die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Die Frau hat viel Autonomie bekommen, aber sowohl Mann als auch Frau sind in ihrer Rolle verunsichert. Denn Gleichberechtigung bei der Arbeit und in der Gesellschaft ist eine Sache; zu denken, dass Männer und Frauen gleich sind, eine andere.
Der Tango bringt uns mit unserer Weiblichkeit und Männlichkeit in Kontakt. Er tut es auf eine ursprüngliche Weise, die uns verloren gegangen ist. Im Tango herrscht wieder Klarheit, jeder kennt seine Rolle. Das gibt es so in keinem anderen Tanz, nur im Tango. Manchmal komme ich in Länder, in denen Männer aus kulturellen Gründen nicht so viel tanzen und Frauen sich einen Tänzer mieten. Sie haben ihre Tanda sicher, aber sie bringen sich selbst um den Genuss, jemandem gefallen zu wollen, der einen auch begehrt und im Tanz erobern will.
Wenn du über dein Leben sprichst, wirkst du so in Frieden mit allem …
Natürlich war die Trennung damals schwer, aber ich übernehme die Verantwortung für alles, was in meinem Leben ist. Ich bin dankbar für jede Erfahrung. Es gab einen Weg mit Miguel, aber auch einen ohne ihn. Unser Zusammentreffen war Bestimmung, denn wir hatten eine Aufgabe miteinander. Nachdem jeder seine Lektion mit dem anderen gelernt hatte, trennten wir uns, weil ein Prozess zu Ende ging. Miguel ist mein Seelenfreund und ein Teil von mir. Ich kann nicht böse auf ihn sein, sonst wäre ich es auf mich selbst.
Du bist Tänzerin, Produzentin, Direktorin, Lehrerin, Autorin … mit welcher Rolle identifizierst du dich am meisten?
Ich war und bin mit Leib und Seele Tänzerin. Tanzen ist das Einzige, worauf ich niemals verzichten werde.
Und welches war für die Tänzerin in dir in all diesen Jahren der unvergesslichste Moment?
Es mag aus dem Mund einer langjährigen Tänzerin wie mir merkwürdig klingen. Aber das Schönste war, als ich mich endlich wirklich führen lassen konnte. Das gelang mir aber erst nach mehr als zehn Jahren! Als ich aufhören konnte, Impulse erraten und Bewegungen vorwegnehmen zu wollen, tanzte ich erstmals ohne Angst. Ich konnte mich auf einmal ganz und gar und ohne zu denken meinem Partner überlassen. Es war ein unerhörtes Glücksgefühl und ein metaphysisches Erlebnis. Das hat mich seitdem nie wieder verlassen und es wird mich immer begleiten.