Das Porteño y Bailarín - hat ein Herz für alle!

von Ute Neumaier, Buenos Aires, veröffentlicht in Tangodanza Nr. 45, Januar 2011  

Nach dem Tango Porteño y Bailarín von Di Sarli und Hector Marconi ist eine Milonga in der Calle Riobamba benannt, nur eine Straßenecke vom El Beso und doch Hunderte von Tangomeilen davon entfernt. Während im El Beso Tradition und Etikette hochgehalten werden, tummelt sich im nur wenige Schritte entfernten Porteño eine Schar von schrägen Nachtvögeln. Mehr als anderswo kann man hier der Noche Porteña, dem dekadenten Nachtleben einer Metropole bis früh in den Morgen frönen, ungezwungen und fernab von den vielen ungeschriebenen Regeln der standesbewussten Tangogemeinde in der Konkurrenzmilonga um die Ecke.

So will es die Philosophie der Organisatoren Carlos Stasi und José Garófalo, der eine Porteño, der andere Bailarín (Tänzer) – daher der Name. Carlos, einst Fußballspieler in Guatemala und den USA, dann Schauspieler und später Verkäufer, ist der typische Porteño: vielseitig, mit tausend Leben und niemals um eine Antwort verlegen. Heute führt er als Entertainer vorzugsweise mit Hut und Mikro durch die Milonga. José ist Tangolehrer, Maler und Tänzer mit sozialkritischem Bewusstsein und bekannt aus dem Stück Tangoprotesta mit El Indio. Bald wird er Vater und hält sich schon immer am liebsten im Hintergrund.

Ihre Milonga, in der DJ Ricardo Saluski von der ersten bis zur letzen Minute Tango pur spielt, eröffneten die beiden in dem 350 qm großen Klub vor zehn Jahren. Es war Carlos’ Idee, als er zu Beginn des Tangobooms seinen Job als Verkaufsleiter verlor. Doch das Land war von der Wirtschaftskrise gebeutelt, die Taschen der Menschen leer. Die ersten eineinhalb Jahre kamen nur geladene Gäste, bis freier Eintritt für alle die Wende brachte und das Porteño innerhalb von sechs Wochen aus den Nähten platzte. Seither tummeln sich dienstags und sonntags ab 22.30 Uhr auf den zwei Tanzflächen Tangobegeisterte jeglicher Couleur: hinten die Jüngeren, Unerfahreneren und die ‚Aufreißer’, auf der vorderen Piste die Sittsameren, die ‚Alten’, die Tangocracks und alle, die sich gerne in ihrer Tanzkunst bewundern lassen.

Der Besucher passiert zunächst ein paar Unverbesserliche, die das Rauchverbot vor die Tür treibt, entrichtet seine 20 ARS Eintritt an einen Kassierer hinter Glas und betritt dann ein rot-schummriges Halbdunkel, flankiert von den mehr oder weniger kunstvollen Tangogemälden, die die Wände schmücken. Setzen kann er sich, wo er will, aber Carlos und José helfen gerne. Denn wenn zu später Stunde unermüdliche Tangueros die Milongawelten wechseln, weil El Beso dichtmacht, kann es schon mal eng mit den Tischen werden.

Das Markenzeichen des Porteño ist ein Tangoquiz, das sogar nach Holland exportiert wurde, dort aber scheiterte – aus mangelndem Tangowissen, sagt Carlos. Aber auch in Buenos Aires gibt es oft nur deshalb Gewinner, weil einer der immer anwesenden Milongueros beim Erraten von Tangos und Orchestern Hilfe leistet. Ohne sie müssten Carlos und José die Flasche Schampus, die es zu gewinnen gibt, wohl öfter selbst trinken. Auftritte von Tangogrößen der Gegenwart gibt es immer, aber erst zu später Stunde. Unumstrittener Höhepunkt war der bewegende Auftritt von Alberto Podestá nach vielen Jahren der Abwesenheit, den Carlos, so sagt er, „wiederentdeckte“.

Vor Milongabeginn gibt es seit der Eröffnung ab 20.30 Uhr Unterricht in Tango Salon und Milonguero mit wechselnden Lehrern. Daran hat sich trotz wachsender Konkurrenz durch immer mehr Tangoschulen nichts geändert. Das unschlagbare Argument: Im Eintrittspreis für die Milonga ist der Tangounterricht enthalten.

Die Milonga des Duos hat den unverwechselbaren Charme des Unkonventionellen. Zwar bedauert Carlos, dass es seit Gavitos Tod immer weniger Bohemiens, Milongueros und Lebenskünstler gibt, doch wird das Porteño wohl immer die Heimat der Schrägen und Unangepassten bleiben. Hier darf sogar der Obdachlose im Tangohimmel schweben, ein Recht, das Carlos und José all jenen gewähren, die anderswo keinen Zutritt haben, weil ihnen die Mittel fehlen oder sie nicht präsentabel sind. Sei es der verstorbene, immer vor sich hin brabbelnde Tano Guillermo, den man sich ohne sein Whiskyglas in der Hand nicht vorstellen konnte, oder ‚El Negro Oscarcito’, einst Milonguero, dann zahnloser Vagabund – kein weibliches Milonguera-Herz konnte so hart sein, ihnen das Glück einer Tanda gänzlich zu verwehren. Das Porteño hat ein Herz für alle, die den Tango lieben, auch wenn sie im Leben strauchelten.

Wer sich stärken will, kann dies bis früh in den Morgen mit Milanesas, Tortillas oder Empanadas tun. Wer einen ungetrübten Aufenthalt im Porteño genießen will, tut gut daran, seine Habe an der Garderobe abzugeben. Carlos erinnert sich lebhaft an eine russische Tangotänzerin, deren Tasche gestohlen wurde und die daraufhin davon überzeugt war, für den Rest ihres Lebens ein Recht auf freien Eintritt im Porteño zu haben. Ein Wunsch, den Carlos und José ihr leider nicht erfüllen konnten.

http://www.porteybailarin.com/