La Glorieta de Belgrano Open-Air-Milonga mit nostalgischem Flair

von Ute Neumaier, Buenos Aires, veröffentlicht in Tangodanza Nr. 57,  März 2014

Wer die Klimaanlagen und Ventilatoren der Indoor-Milongas von Buenos Aires leid ist, und mal an der frischen Luft mit Blick auf die Grenzlinie zwischen Himmel und Erde Tango tanzen möchte, darf sich La Glorieta keinesfalls entgehen lassen.

Eine kleine Reise ist es schon vom Stadtzentrum ins schöne Belgrano, die sich aber durchaus lohnt. Und das nicht nur, weil man bei der Fahrt in einem Bus aus dem Zentrum erleben kann, wie sich die Stadt vom Süden in Richtung Norden hin verändert, wie die Straßen breiter werden, das Grün satter und die Luft besser.

Magisches Licht zum 2 x 4

Gegenüber des Busterminals liegt der kleine Park Barrancas de Belgrano, der 1892 von dem französischen Landschaftsarchitekten Charles Thays angelegt wurde.  Selbst ein Newcomer findet auf der Grünfläche schnell, wonach er sucht. Denn La Glorieta ist hier am Spätnachmittag samstags und sonntags weder zu übersehen, noch zu überhören. Auf einer kleinen Anhöhe steht ein wundervoller, romantischer Pavillon, in dem Tangueros im magischen Licht der Abenddämmerung ihre Runden drehen.

La Glorieta besticht mit einem ganz eigenen Charme, und das schon seit 17 Jahren. Als der Organisator Marcelo Salas sich 1995 auf die Suche nach dem geeigneten Ort für eine Freiluft-Milonga begab und den sich selbst überlassenen Pavillon entdeckte, war es Liebe auf den ersten Blick.

Tango tanzen bei Wind und Wetter

„Der Tango kränkelte damals sehr, geriet mehr und mehr in Vergessenheit und wurde nur noch von einer Minderheit getanzt“, erzählt Marcelo, „und mit meiner Milonga wollte ich daran etwas ändern.“ Und weil Beharrlichkeit eine seiner Stärken ist, blieb Marcelo seither sommers wie winters, auch mal bei aufkommendem Regen, seiner Milonga und deren Fans treu.

Ihr Publikum ist zwischen 20 und 70 Jahre alt, das Tanzniveau variiert. Touristen vermischen sich mit Einheimischen, Milongueros mit Neulingen und in guten Zeiten tummeln sich hier schon mal um die 200 Leute. Der Spaß am Ausprobieren ist wichtiger als in manchem Tempel der hohen Tangokunst, sodass sich selbst Anfänger ohne Angst vor einer Blöße auf die Tanzfläche trauen.

Sicher auch deshalb verbreitete sich der Ruhm von La Glorieta allein durch Mundpropaganda. Und das, wo nun wirklich kein Milonga-Komfort im üblichen Sinne geboten wird: weder Tische noch Stühle, keine, Toilette und zu trinken gibt es auch nichts. Die Argentinier bringen ihre heiß geliebten Mates mit, die sie auf der Wiese sitzend miteinander teilen. Wer aber an dieser Tradition nicht teilhat, tut gut daran, etwas Trinkbares mitzubringen.

Auffordern, wie es euch gefällt  

Ansonsten kommen Gäste in jeder Hinsicht auf ihre Kosten, denn Marcelos tragbares Soundsystem gibt richtig was her. Und der Tango zeigt sich von seiner entspannten Seite: kein Dresscode und auch sonst keine ungeschriebenen Regeln. Ob per Blickkontakt aufgefordert wird, ob man zu den auf der Eisenbalustrade sitzenden Damen hingeht, ob Mann oder Frau zum Tanz einlädt, interessiert hier niemanden wirklich. Selbst über die Höhe des Obolus, der in den im Laufe des Abends herumgereichten Hut zu entrichten ist, entscheidet jeder selbst.

So friedlich wie heute ging es hier aber nicht immer zu. Denn der von Präsident Figueroa Alcorta 1910 in Auftrag gegebene Bau eines Musikpavillons für die städtische Kapelle – benannt nach deren Gründer, dem italienischen Musiker Antonio Malvagni – diente auch als Podium für politische Debatten und Ansprachen. 1958 war er gar Hintergrund einer berühmten Szene aus dem argentinischen Science-Fiction-Comic El Eternauta und der Ort, an dem ein außerirdischer Invasor Befehle erteilte.

Der Baustil von La Glorieta entspricht dem des 18. und 19. Jahrhunderts. Wind und Wetter, ein Brand und Vandalismus hinterließen ihre Spuren, bis die Stadt den Pavillon als schützenswertes Kulturgut deklarierte und in mehreren Etappen umfassend renovierte. Der Holzboden wurde durch schwarz-weiße Mosaikfließen aus Granit ersetzt, ein neues Dach wurde angebracht und die Marmortreppe, die heute bei der Milonga eine der wenigen Sitzmöglichkeiten bietet, wurde restauriert.

Idealismus und Vermittlung von Kultur

La Glorieta ist eine One-Man-Show, in der Marcelo Veranstalter, DJ und von 17 bis 19 Uhr Tangolehrer ist. Bei alledem geht es ihm darum, Kultur weiterzugeben und nicht etwa um finanziellen Gewinn.

Deshalb gehört zu seinen unvergesslichen Erinnerungen in all diesen Jahren die Begegnung mit einer 18-Jährigen, die zu ihm sagte: „Du bist schuld, dass ich Tango tanze. Denn als mein Vater mich als kleines Mädchen zum Rollschuhfahren hierher brachte, hörte ich die ersten Tangos, sah die ersten Schritte und verliebte mich ganz früh in dieses Bild.“ Auch den Clochard, der ein Gedicht von Beckett rezitieren wollte und die Geigerin, die seine Darbietung spontan vertonte, wird Marcelo nie vergessen. Denn es sind Momente, die ihm zeigen, dass diese Weitergabe von Kultur, der er sich mit seiner Glorieta verschrieben hat, funktioniert. Dann bereut er keine Sekunde, dass er seit 17 Jahren kaum ein freies Wochenende hatte und blickt erwartungsvoll den nächsten Jahren entgegen.