von Ute Neumaier, Buenos Aires, veröffentlicht in Tangodanza Nr. 58, Juni 2014
Elina Roldan im ultra-traditionellen Cachirulo, im jungen lockeren El Floreal oder in der klassischen Salon-Milonga La Baldosa…, egal wo, sie ist als Tänzerin immer heiß begehrt. Vielleicht weil ‘La Negra Elina’, wie sie in Argentinien liebevoll genannt wird, nicht nur eine erfahrene Milonguera ist, deren Füße bei der Traspié-Milonga in atemberaubendem Tempo und schwerelos über die Tanzfläche wirbeln – sondern auch, weil sie eine Persönlichkeit des Tango und eine beliebte Lehrerin ist und weil man sich dem Charme ihres unvermutet ausbrechenden, strahlenden Lachens kaum entziehen kann. Doch im Gespräch offenbart sie eine andere Elina, ein Mädchen aus armem Hause, das trotz mangelnder körperlicher Eignung Profitänzerin wurde, eine Bühnentänzerin, die unter dem Konkurrenzkampf mit ihren Kollegen litt – und eine Frau, für die ein Weg im Tango ohne ihren Tanz- und Lebenspartner nicht denkbar war.
Elina, wo ich dich auch sehe, du tanzt immer. Mit Jung und Alt, mit Argentiniern und Touristen, Rock ‘n’ Roll oder Tango. Und als Lehrerin hast du seit Jahren deinen Fanclub. Wie kommt das?
Warum Männer mit mir tanzen, musst du sie fragen. Ich weiß nur eins, es zählen dabei nicht nur Talent und Technik, sondern auch die innere Haltung. Ich tanze mit jeder Faser meines Seins und mit ganzem Herzen, vielleicht überträgt sich das.
Als Lehrerin werde ich wohl deshalb immer wieder eingeladen, weil ich den Tango der Milonga für Menschen wie du und ich unterrichte, nicht den für die Bühne oder für Profitänzer. Sicher auch, weil es mir um die Vermittlung von etwas Wahrhaftigem geht, um eine wirkliche Umarmung, keine Haltung; und darum, dass die Schüler einander authentisch und entspannt begegnen können. Der wahre Tango ist für mich der, bei dem sich zwei so umarmen, dass sie eine Spur im anderen hinterlassen. Deshalb mag ich es nicht, wenn Lehrer vorwiegend Bewegungen oder Technik unterrichten und ihren Schülern nicht das Tanzen an sich nahebringen.
Warst du von Anfang an auf den Tango der Milonga ausgerichtet oder hat sich das erst mit den Jahren so entwickelt?
Ich habe mit Salontango begonnen, tanzte danach offen á la Gustavo Naveira und kam dann zum Milonguero-Stil. Ab 1992 ging ich in die Milonga, traf mich dort mit anderen jungen Tänzerinnen, die ebenfalls neu in dieser Welt waren. Die Milongueros von damals wie Pedro ‚Tete‘ Rusconi, Leonardo ‚Petaca‘ Lerman, Eduardo Aguirre oder ‚El Tano‘ Guillermo schnappten uns und verdrehten uns mit ihrem Tanz den Kopf. Sie haben uns alles beigebracht, was sie wussten, sogar die ungeschriebenen Regeln der Milonga. Bald hatten wir einen Milonguero für Vals, einen für Milonga, einen für Tango und waren ihre Königinnen, ihre Reinas. Von diesen alten Männern umarmt zu werden, war etwas, das mit Worten nicht zu beschreiben ist. All das hat mich nie wieder losgelassen, und deshalb versuche ich, meinen Schülern etwas von diesen Milongueros zu vermitteln, die sie leider nicht mehr erleben können.
War es nur die Umarmung der Milongueros, die diese Begeisterung auslöste?
Nein, es war auch ihr Anblick. Etwa 1995 sah ich Tete und seine damalige Partnerin Maria Villelobos zum ersten Mal tanzen und es war unvergesslich. Tete war einzigartig und drehte wie keiner: auf den Absätzen! Maria schloss beim Tanzen die Augen, das war damals etwas ganz Neues. Sie war eine richtige Dame mit ihren schicken Frisuren, eleganten Kleidern, und dann war sie jeden Abend mit einem Nachtvogel wie Tete unterwegs. Was für ein Paar! Aber auch das bringt die Milonga hervor, dass Gegensätze sich vereinen.
Mit Tete zu tanzen war so, als würdest du auf seinem Bauch liegen und mit ihm über den Boden schweben; er blieb meine Quelle der Inspiration und sagte immer wieder: Hör genau hin, lass dich führen, schwebe … Tete und Maria faszinierten nicht nur mich, alle wollten tanzen wie sie. Schnell bekam ihr Tanz einen Namen: ‘Tango apilado’ (etwa ….), auch wenn er vorher schon existiert hatte. Als mit dem Tango Geld verdient werden konnte, wurden individuellen Tanzstilen aus Marketinggründen ganz schnell Etiketten verliehen.
Wie bist du zum Tango gekommen?
Tanz war seit meiner Kindheit ein fester Bestandteil meines Lebens. Dass ich Profitänzerin wurde, ist aber dennoch bemerkenswert, denn ich hatte nicht wirklich das Talent dafür – oder sagen wir besser: nicht den richtigen Körper. Ich war einfach viel zu groß geraten, und sehr gelenkig war ich auch nicht. Nach einer Aufführung anlässlich meiner Abschlussprüfung in Danza Española (Klassischer Spanischer Tanz) im Alter von 18 Jahren sagte meine erste Lehrerin, dass es nun an der Zeit sei, meine Tanzschuhe an den Nagel zu hängen.
Ich hätte mich von ihr entmutigen lassen können, aber ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht, aufzugeben. Und so fand ich mit 24 die richtige Lehrerin, der ich alles Weitere zu verdanken habe. Meine Leidenschaft war damals aber noch Flamenco.
Mit Tango fing ich erst mit 29 an. Im Centro Cultural Rojas der Universität von Buenos Aires gab es einen Lehrer, zu dessen Unterricht man erst nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung zugelassen wurde. Im ersten Anlauf fiel ich durch und schaffte es erst beim zweiten Versuch. Aber ich hatte immer die Seele und das Herz einer Tänzerin, deshalb habe ich nie aufgegeben.
Und wie wurdest du Bühnentänzerin, wenn dich der Tango der Milonga so faszinierte?
Das kam durch Alejandro ‚El Turco‘ Suaya, meinen späteren Partner, den ich gleich zu Beginn im Tango-Unterricht kennenlernte und der mehr der Bühne als der Milonga zugeneigt war. In welcher Stunde wir uns auch trafen, am Ende standen wir zusammen und tanzten miteinander. Bald nahmen wir gemeinsam Unterricht, wo wir nur konnten, nach acht Monaten gab ich den Flamenco auf und wir wurden ein Paar. Ich arbeitete damals noch als Sekretärin und habe mich nie bewusst entschieden, Profitänzerin zu werden, alles hat sich nach und nach mit Alejandro ergeben.
Wenn wir miteinander tanzten, stimmte die Chemie absolut. Es gab so viel Leidenschaft, dass fast schon die Funken sprühten, und es fühlte sich an, als hätten wir keine Grenzen. Ich stimme mit anderen Tänzern überein, dass ein Paar, zwischen dem es eine innere Verbindung und Leidenschaft gibt, die Augen der Zuschauer geradezu magisch anzieht. Deshalb hatten wir auch Erfolg und tanzten schon 1992 in unserer ersten Show, u.a. mit Alberto Castillo, Nelly Omar und Beba Vidart.
Hast du dein Leben als Tänzerin genossen?
Ja. Auch wenn es nie ein einfaches Leben war, gab es Highlights, die ich nie vergessen werde. Als wir in der Show von Ruben Juárez in der Bar El Homero tanzten, kam nach dem Auftritt immer die Show nach der Show: Musiker-, Tänzer- und Sängerfreunde trudelten ein und wir saßen bis zum Morgengrauen zusammen und redeten über Gott und die Welt und man gehörte einfach dazu.
Aber in den Tangoshows selbst herrschte ein großer Konkurrenzkampf. Man musste aufpassen, dass einem nicht der Stuhl unter dem Hintern weggezogen wurde. An der Oberfläche schien alles eitel Sonnenschein, aber ein Fehler reichte aus und sie sprangen dir ins Gesicht.
Und wie wurde aus der Milonguera-Bühnentänzerin eine Lehrerin?
Spanischen Tanz unterrichtete ich schon seit 1987 im Rojas. Tangolehrerin wurde ich 1995 mit dem Eintreffen der Ausländer, u.a. der ersten Deutschen, die von Tete absolut fasziniert waren. Sie sahen mich in der Milonga Almagro tanzen, fragten mich nach Unterricht und ich konnte es nicht fassen. Meine ersten Tangostunden gab ich mit dem Wörterbuch in der Hand!
Daneben analysierte ich mit meinen Freundinnen aus der Milonga den Tango bis ins kleinste Detail und fragte mich, wie man ihn anderen nahebringen kann. Und ich bildete mich mit sehr guten Lehrern wie Pupi Castelo und Graciela Gonzalez weiter, und von Gustavo Naveira und Olga Besio lernte ich zu unterrichten.
Hatte deine Leidenschaft für den Tango aus der Milonga Einfluss auf deine Beziehung und Arbeit mit Alejandro?
Ja, die Milonga hat uns auseinandergebracht. Er war zwar mein Tanzpartner, blieb aber bei dieser Erfahrung mit dem Milongueros außen vor, während ich immer milonga-närrischer wurde.
Wenn ich nach dem Tanzen mit den Milongueros mit Alejandro probte, dachte ich, warum kann er mich nicht ein bisschen sanfter umarmen und fließender tanzen? Die Kluft zwischen dem Tango der Milonga und dem der Bühne war so groß, dass fast schon ein Krieg zwischen den Bühnentänzern und den Milongueros entfachte.
Miguel Angel Zotto hat einmal gesagt: „Um auf der Bühne zu bestehen, musst du erst im Salon tanzen können, nur dort bekommst du Cadencia1. Aber für Bühnentänzer zählten Milongueros nicht, und bei den Proben haben sie mir das Leben schwer gemacht, weil ich in die Milonga ging. Mehr als einmal lief ich weinend nach Hause.
Kam es deshalb zur Trennung von Alejandro?
Ja, denn wir stritten immer häufiger und waren uns im Tanz immer weniger einig. Er wollte die Akrobatik der Bühne – und ich empfand alles jenseits des traditionellen Tangos aus der Milonga nicht mehr als wirklichen Tango.
Dennoch war eine Trennung lange Zeit undenkbar. In meiner Generation war die Frau in Argentinien nicht so unabhängig wie heute, und der Tango ist ein Abbild der Gesellschaft. Frauen haben ihren Mund gehalten und den Männern, die ziemliche Machos waren, der Harmonie zuliebe das Wort überlassen. Es gab natürlich auch Ausnahmen, aber es musste noch einige Zeit vergehen, bis die Frau im Tango ihren Weg als Lehrerin auch ohne einen Mann gehen und Projekte mit anderen Frauen auf die Beine stellen konnte, wie ich es heute tue.
Außerdem war früher ein Tangopaar eine Institution, und das gab man nicht so einfach auf. Ohne Tanzpartner stand man als Tänzerin erst einmal vor dem Nichts. Nach sechs Jahren trennten wir uns 1996 als Lebenspartner, arbeiteten aber weiter miteinander, was noch vier Jahre gut ging.
Haben sich deine Befürchtungen bewahrheitet?
Eigentlich nicht. Aber ich werde nie vergessen, wie mich Anfang 2001 ein Organisator anrief und ich ihm vorjammerte, dass wir uns getrennt hatten und ich nun alleine sei, so als sei damit alles vorbei.
Einen Tanzpartner zu haben, gab mir Sicherheit. Deshalb wollte ich kurz danach mit einem Tänzer zusammenarbeiten, was aber unter keinem guten Stern stand. Die wirtschaftliche Lage in Argentinien war schwierig und ich ging nach Spanien, von wo aus ich mit ihm in Europa unterrichten wollte. Als ich den ersten Organisator anrief, sagte er mir, dass mein Tanzpartner schon eingetroffen sei. Er hatte einfach meinen Platz eingenommen! Glücklicherweise wollte der Veranstalter mich auch alleine haben, und so begann damals eine andere Ära, in der ich unabhängiger von einem Partner wurde.
Danach gab es noch andere Partner, aber es entwickelte sich nie wieder so eine allumfassende Beziehung wie mit Alejandro. Mit ihm hatte es so viel Leidenschaft, Projekte, Tanzen und Unterricht gegeben, und das über so eine lange Zeit! Ich war zu Beginn 29, bei der Trennung 40! In Buenos Aires hatte ich mit ihm als Tänzerin alles erreicht und wir haben sogar in Japan gearbeitet, was damals so etwas wie die offizielle Anerkennung von Profitänzern war. Und plötzlich stand ich mit leeren Händen da, und das wollte ich nie wieder erleben.
Aber danach hast du sogar zur Bühne zurückgefunden, nicht wahr?
Ja, für das Stück Danza Maligna wurde eine Tänzerin mit Bühnen- und Milonga-Erfahrung gesucht. Ich sagte sofort zu und kam Ende 2001 wieder nach Buenos Aires zurück. Doch kurz darauf brach das Land wirtschaftlich zusammen und aus dem Projekt wurde nichts.
Erst ein Jahr später wurde es produziert und mein Tanzpartner war Dany ‚El Flaco‘ Garcia. Zwei Jahre hatte ich nicht mehr auf der Bühne gestanden und zögerte; doch dann zog ich die Netzstrümpfe wieder an. Was für ein Gefühl! Dany und ich waren beide nervös, denn wir kannten uns nicht und Bühnenerfahrung hatte er keine. Aber es gab Standing Ovations … jede Nacht.
Und wie ging es weiter?
Wir unterrichteten und reisten, doch als Danza Maligna 2003 in Paris gezeigt wurde, verliebte er sich dort und blieb. Dann wurde das Stück 2004 erneut aufgeführt; mein Partner wurde ‚El Pipe‘ Sarandi, mit dem ich danach auch etwa ein Jahr zusammenarbeitete.
Von 2005 bis 2009 entstand mit Ramiro Gigliotti eine ganz andere Art der Zusammenarbeit, die mich an Alejandro erinnerte und mir klarmachte, was mir mit den Milongueros gefehlt hatte: Kreativität. Ihr Tanz war wunderbar, aber immer gleich. Ramiro und ich haben sieben Choreografien entwickelt, und das fand ich spannend.
Dann habe ich noch hier und da mit Pancho Martinez Pey unterrichtet und getanzt, einer Seele von Mensch, einem Freund und Partner – etwas sehr Ungewöhnliches im Tango. Unter Kolleginnen waren wir uns oft einig: Geht man mit einem Tänzer auf Tournee, wird er spätestens am Flughafen zum totalen Macho. Pancho ist anders.
Hast du niemals daran gedacht, den Tango aufzugeben?
Nicht wirklich. Das Schöne und das Schwierige am Tango ist, dass zwei dazugehören, deshalb bringt er uns manchmal um den Verstand und bereitet uns auch Enttäuschungen und man will einen Schlussstrich ziehen. Aber es ist nie wirklich der Tango, eher die Milonga, die Menschen dort, die Organisatoren, und man nimmt sich eine Auszeit. Doch es gibt Dinge, die man nicht erklären kann. Man weiß nur, dass sie einen glücklich machen, und deshalb kehrt man immer wieder zurück zu diesem Moment. Auch ich. Tango tanzen bedeutet für mich, mit meinem ganzen Wesen in Kontakt mit einem anderen Menschen zu sein, mich ganz und gar lebendig zu fühlen. Doch nicht nur das, der Tango hat mir erlaubt, meine Träume zu erfüllen und zu reisen, was für ein Mädchen aus so einfachen Verhältnissen absolut undenkbar war. Er hat mich auf die Bühne gebracht und mir ermöglicht, meine Grenzen zu erweitern und meine Ängste zu überwinden. Ich bin dem Tango dankbar, denn er hat Licht in mein Leben gebracht und ist für mich wie die Luft zum Atmen.
Kontakt: elinaroldan@hotmail.com
1 Cadencia beschreibt im Tangokontext die Fähigkeit von Tänzerin und Tänzerinnen, das Auf und Ab, die Energie der Musik in seinem/ihrem Tanz abzubilden