La Viruta - Tangoparty für Jung und Alt

von Ute Neumaier, Buenos Aires, veröffentlicht in Tangodanza Nr. 54,  März 2013  

Das nüchterne Gebäude des armenischen Gemeindezentrums in der Calle Armenia im Stadtteil Palermo ist Heimat von La Viruta. An der Balustrade vor dem Eingang sind Fahrräder angekettet, und Jung-Milongueros aus nah und fern stehen davor und rauchen. Eine Treppe führt in einen riesigen schmucklosen Kellersaal mit weißen und schwarzen Gartenmöbeln aus Plastik und einem kalten düsteren Steinboden. Je nach Uhrzeit und Wochentag erstrahlt der unpersönliche Charme von La Viruta mal in kaltem Neon-, mal in beschönigendem Dämmerlicht. Je früher der Abend, desto unübersichtlicher das Treiben auf der meist brechend vollen Tanzfläche. Wer eine stimmungsvolle Tango-Location erwartet hat, ist auf den ersten Blick enttäuscht und fragt sich, worin wohl der Ruhm dieser weltberühmten Milonga begründet liegt.

La Viruta ist eine der meist besuchten Tanzschulen und Milongas von Buenos Aires und vermittelt einen Eindruck davon, wie lebendig der Tango in der Stadt geblieben ist. In La Viruta ist man immer am Puls der Zeit, und wer die neusten Tangotrends live erleben möchte auch an der richtigen Adresse. Ihr Erfolgsrezept heißt Partylaune und Tangospaß anstelle von feierlichen Mienen und allzu viel Etikette.

So will es Horacio Godoy, der La Viruta vor 17 Jahren mit seinen Partnern Cecilia Troncoso und Luis Solana ins Leben gerufen hat. Er ist ein vielbeschäftigter Mann, Vater, DJ und Milonga-Organisator und als Lehrer und Tänzer viel auf Reisen. Ein Termin mit ihm ist nur schwer zu bekommen – und wenn, dann erst um Mitternacht.

Etwa um diese Zeit endet nämlich die letzte Stunde des jungen und enthusiastischen Lehrerteams von La-Viruta-Escuela, und La-Viruta-Milonga öffnet ihre Türen. Wer den Unterricht bezahlt hat, dem wird umsonst Einlass gewährt, aber die Party geht erst ab 1 Uhr richtig los. Und dann wird getanzt, was das Zeug hält, und zwar bis zum Morgengrauen. Sei es Tango, Folklore, Salsa oder Rock ‘n’ Roll. Show- und Orchesterauftritte gibt es erst ab 2 Uhr, doch nur donnerstags und freitags.

So gegen 3 Uhr belebt sich der Eingang von La Viruta, denn 15 Minuten später heißt es: Eintritt frei. Dann fallen die Tangobesessenen und Nachtschwärmer ein, die einfach kein Ende finden oder noch auf der Suche nach einem späten Abenteuer sind. Je nach Lust und Laune kann dann noch ein bisschen gebaggert werden, man kann seine letzten Runden drehen oder einfach nur chillen. Der Anblick der Tangocracks aller Stilrichtungen, die hingegeben an das Zusammenspiel von Körper und Musik ein Zeugnis ihres Könnens geben, ist spannender als jedes Kino. Man versteht dann Horacio, für den die Milonga eine Brücke zwischen Menschen in einer immer virtuelleren und kontaktärmeren Welt ist.

Wer sich beim Zuschauen stärken möchte, bekommt freitags und samstags ab 4 Uhr duftenden Milchkaffee und leckere Medialunas¹ und für den größeren Hunger bietet die Küche am Wochenende noch bis 3:30 Uhr warmes Essen. Der Altersdurchschnitt liegt wochentags bei 35 bis 40, am Wochenende bei 50. Denn, so klärt Horacio mich auf, auch in Argentinien gibt es immer mehr geschiedene Leute um die 40, die dann den Tango für sich entdecken.

Obwohl La Viruta eine eher ‚junge’ Milonga ist, zollt man auch hier wie überall in Buenos Aires den Alt-Milongueros größten Respekt. Nicht nur für die Organisatoren war deshalb das letzte Vortanzen des bereits vom Tode gezeichneten Carlos Gavito ein unvergesslicher Moment. Jede Bewegung kostete den großen Tänzer unglaubliche Mühe, erinnert sich Horacio, und in dem ganzen Tango machte er gerade mal zehn Schritte. Danach herrschte Stille, nur hier und da unterbrochen vom Klirren der Gläser. Die Anwesenden erhoben sich ergriffen, näherten sich Gavito und umarmten ihn. Und der flüsterte Horacio zu: „Ich glaube, das war der beste Tango meines Lebens.“

Es lohnt sich, in der sonst so quirligen La Viruta auf solch besinnliche Momente zu warten – denn wer sie erlebt, wird sie nicht mehr vergessen.

1 kleine Buttercroissants

Adresse: Armenia 1366 (Palermo)
Reservieren unter: 4774-6357 oder 4779-0030

Website: www.lavirutatango.com

Unterricht: Mi, Do, Fr, Sa und So: ab 20 Uhr bis Mitternacht

Milonga: ab 24 Uhr, wochentags bis 4 Uhr, am Wochenende bis 6 Uhr

Eintritt: 40,– ARS (mehrere Unterrichtsstunden inbegriffen) sowie der Besuch der Milonga. Viererkarte: 100,– ARS

Musik: Mi & Do: nur klassische Tango, Fr & Sa: auch andere Rhythmen, wie Salsa und Folklore, So:  auch Rock ‘n’ Roll bis 1.Uhr, dann nur Tango.

Auffordern: mit und ohne Cabeceo