Das Cachirulo in Buenos Aires - Nach allen Regeln des Tango ...

von Ute Neumaier, Buenos Aires, veröffentlicht in der Zeitschrift Tangodanza 39, Juli 2009                                    

Cachirulo – nach einem Tango von Troilo haben Héctor Pellozo und Norma Zugasti ihre traditionelle Samstagsmilonga im Microcentro von Buenos Aires benannt. Das Cachirulo ist begehrt bei Jung und Alt, bei Porteños ebenso wie bei Touristen. Wer die immer brodelnde Avenida Corrientes verlässt und in die Calle Maipu einbiegt, hört schon von der Straße aus die ersten Klänge des 2×4.

Eine schmale Treppe führt steil noch oben in eine andere Welt mit eigenen Gesetzen. An der Kasse erhält man für 15 Pesos das Eintrittsticket. Ein schwerer Vorhang verbirgt den Eingang zum Saal. Gespannt steht man davor und wartet. Endlich öffnet er sich und Norma bittet den Gast herzlich herein. Sie tauscht das Ticket gegen ein anderes, mit einer Nummer versehenes – ein Ritual, dessen Sinn sich bei der späteren Verlosung erschließt. Das Licht ist hell und kennt keine Gnade, der dröhnende Sound aus den riesigen Boxen ist für sensible europäische Ohren gewöhnungsbedürftig. Héctor, Hausherr und liebenswerter Gastgeber, führt den Gast an seinen Platz. Man denkt an Filmszenen von Fellini: Da sitzen Damen im Alter von 17 bis 70 Jahren in gewagten Roben oder casual mit atemberaubenden High-Heels aufgereiht vor einer Spiegelwand und strikt getrennt von den Herren an der Wand gegenüber. In freudiger Tanzstimmung mustert man sich übers Parkett hinweg. Frau muss schnell sein, wenn sie zum Tanzen kommen will, und so nimmt sie ihre möglichen Kandidaten schon vor Ende der Tanda ins Visier. Die Klimaanlage, ersatzweise die schnarrenden Deckenventilatoren, können einen empfindlich frösteln lassen. Aber die Musik und der skurrile Charme des Cachirulo sind so mitreißend, dass man bald vor Tanzlust glüht. Das Tanzniveau ist hoch, die Stimmung ausgelassen und man wird schnell von der argentinischen Freude am Feiern angesteckt.

DJ Carlitos Rey legt traditionell auf. Héctor: „Ich möchte Freude und Bewegung in die Milonga bringen. Tanturi, Vargas, Di Sarli mit Rufino, D’Arienzo… erst zu fortgeschrittener Stunde mal Pugliese. Ab 23 Uhr gibt auch Tandas mit Folklore, Rock’n Roll, Merengue und Swing.“ Ein Leckerbissen spät am Abend ist die Cachirulo-Tanda. Von Tango zu Tango wird das Licht immer mehr gedimmt, bis die Tänzer ihre Runden fast im Dunkeln drehen. Dies geht auf eine alte Tradition zurück, auf die Bolero-Tanda für Verliebte – früher eine der wenigen Gelegenheiten, sich etwas näher zu kommen.

Überhaupt werden Traditionen im Cachi, wie Stammgäste es liebevoll nennen, gerne gepflegt, aber immer mit Witz und Charme. Das Markenzeichen sind laminierte Karten mit den ‚goldenen Milonga-Regeln’ in zehn Sprachen. Zu den weiteren Kuriositäten gehören die Rote und Gelbe Karte, die Héctor bei Regelverstößen zückt, natürlich immer diskret und mit viel Humor, versteht sich. „Es kamen immer mehr junge Leute und Fremde, die die Regeln einer Milonga nicht kannten. Wir wollten ihnen die Códigos mit einem Augenzwinkern vermitteln. Unsere Gäste aus aller Welt haben sie dann übersetzt. Wir wollen nicht maßregeln, sondern nur möglichst viele Menschen ungestört auf der relativ kleinen Tanzfläche tanzen lassen“, erklärt Héctor. Selbst die ‚jungen Wilden’, die gerne zu später Stunde ins Cachi kommen und anderswo modern und offen tanzen, halten sich brav an alle Regeln.

Für Héctor ist die größte Herausforderung das Platzieren der Gäste: „Unsere treuen Stammgäste haben feste Plätze. Treffen Neulinge vor ihnen mit dem Wunsch ein, möglichst gut platziert zu werden, kann ich dem oft nicht entsprechen. Leider führt das hin und wieder zu Verärgerung, aber als Veranstalter sind mir da die Hände gebunden.“ Auch dass Paare, die am gleichen Tisch sitzen wollen, in die hintere Reihe verwiesen werden, ist keine Willkür, sondern folgt ungeschriebenen Regeln: Paare tanzen nur mit dem eigenen Partner und brauchen deshalb keinen Platz in der ersten Reihe, um gut sichtbar fürs Auffordern zu sein. Diese Plätze – nach Frauen- und Männerseite getrennt – gehören den Tänzern, die alleine kommen. Andere Länder, andere Sitten.

Zu fortgeschrittener Stunde werden ein paar Tangoschuhe, zwei Flaschen Schampus und die argentinische Variante des Wurst- und Käsetellers La Picada verlost. Und dann wird alles, was Rang und Namen hat, so eifrig beklatscht, dass Ungeübten schon mal die Arme lahm werden: Applaus für den Schuhfabrikanten, der Schuhe für die Verlosung spendiert, für anwesende Tangolehrer und bedeutende Tangopersönlichkeiten. Mein persönliches Highlight ist der Moment, in dem wir uns alle selbst beklatschen. Das gibt es nur in La Argentina!